Wird ein Betrieb veräußert, so übernimmt der neue Inhaber die Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen. Davon gibt es eine wichtige Ausnahme, die auch für die betriebliche Altersversorgung gilt: Eine beim Erwerber bestehende Betriebsvereinbarung löst eine solche des Veräußerers ab. Den Regelungsrahmen dafür bildet § 613a BGB.
Strittig war, in welchem Umfang bei einer solchen Ablösung Besitzstände zu wahren sind. In seinem aktuellen Urteil vom 22. Oktober 2019 (3 AZR 429/18) verlangt das Bundesarbeitsgericht nun einen höheren Arbeitnehmerschutz.
In der bisherigen Rechtsprechung wurde ein zeitratierlich bemessener Bestandsschutz für die bis zum Betriebsübergang erreichte Versorgungsanwartschaft eingeräumt. Im Übrigen galt der gesetzlich eingeräumte Vorrang des Vereinheitlichungsinteresses des neuen Inhabers vor dem Arbeitnehmerinteresse an unveränderten Versorgungszusagen.
Nach dem neuen Urteil des BAG darf dem Erwerber durch den Betriebsübergang nicht mehr Eingriffsmöglichkeit auf die betriebliche Altersversorgung eingeräumt werden als sie dem Veräußerer vorher zur Verfügung stand. Eine Verschlechterung aus Sicht des Arbeitnehmers muss deshalb einer Prüfung nach der „3-Stufen-Theorie“ standhalten.
Die sogenannte „3-Stufen-Theorie“ unterscheidet zwischen Eingriffen in verschiedener Tiefe und verlangt entsprechend Gründe mit verschiedener Härte.
Der tiefste Eingriff (erste Stufe) reicht bis in die erdiente beziehungsweise erreichte Versorgungsanwartschaft. Dafür werden „zwingende Gründe“ benötigt. Ein solcher Eingriff war auch in der bisherigen Rechtsprechung schon nicht erlaubt.
Mit Eingriffen in die zweite Stufe erreicht man die erdiente Dynamik. Das sind künftige Zuwächse der Anwartschaft aus der ersten Stufe durch Änderungen dynamischer Berechnungsfaktoren, wie zum Beispiel Gehaltserhöhungen. Für solche Eingriffe werden „triftige Gründe“ verlangt. Dazu zählt beispielsweise eine langfristige Substanzgefährdung des Unternehmens durch das Fortbestehen des bisherigen Versorgungswerks. Auch eine grundlegende Veränderung im gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmen kann dafür relevant sein. Ein solch triftiger Grund dürfte bei einem Betriebsübergang für den Erwerber allerdings recht unrealistisch sein.
Ein Eingriff in die dritte Stufe betrifft die durch weitere Dienstzeiten hinzu erdienbare Anwartschaft. Für eine Veränderung zum Nachteil des Arbeitnehmers reichen hier „sachlich-proportionale Gründe“. Ein Beispiel ist eine ungünstige wirtschaftliche Entwicklung. Das lässt sich jedoch regelmäßig nicht erwarten, da sich der Erwerber mit der Betriebsübernahme ja gerade in der Expansion befindet.
Ein eher vorstellbarer Fall wäre eine Fehlentwicklung der betrieblichen Altersversorgung, zu deren Abwehr auch der Veräußerer hätte eingreifen können und sollen – unabhängig vom Betriebsübergang. Ein weiterer denkbarer Fall ist die Umgestaltung der Versorgungsordnung zur Gleichbehandlung – bei gleichzeitiger Wahrung des Dotierungsrahmens. Kollektiv gesehen muss das nicht zwingend eine Verschlechterung der betrieblichen Altersversorgung darstellen.
Die Vereinheitlichung unterschiedlicher Versorgungssysteme wäre bisher ebenfalls ein anerkannter Grund für einen Eingriff in die dritte Stufe gewesen. Im Fall eines Betriebsübergangs reicht dies aber nach dem neuen Urteil allein nicht mehr aus. Dazu sind weitergehende materielle Überlegungen notwendig, zum Beispiel belegbare Einsparungen beim Verwaltungsaufwand. Außerdem muss der Eingriff dazu in einem verhältnismäßigen Rahmen stehen.
Als Konsequenz aus der neuen Rechtsprechung sollten geplante Änderungen der betrieblichen Altersversorgung im Zuge eines Betriebsübergangs noch sorgfältiger als bisher durchdacht und überprüft werden. Auch die Überprüfung eines Betriebsübergangs aus der Vergangenheit kann sinnvoll sein, da die BAG-Entscheidung eine neue Gesetzesauslegung darstellt und dem keine Gesetzesänderung zugrunde liegt.
Die Weiterentwicklung der Rechtsprechung betrifft in der Praxis nicht nur traditionelle, unmittelbare Versorgungszusagen. Die Besitzstandsfrage stellt sich beispielsweise auch bei Direktversicherungen, bei denen über den Veräußerer neben Altersrenten Berufsunfähigkeitsrenten mitversichert waren, die beim Erwerber jedoch nicht einbezogen sind.
Zu guter Letzt ist anzumerken, dass das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil nur kollidierende Betriebsvereinbarungen anspricht und zu Recht das Thema „Tarifvertrag“ außen vor lässt. Aufgrund der Tarifautonomie findet die „3-Stufen-Theorie“ dort keine Anwendung.